Scientology: The Aftermath

Heute hat L. Ron Hubbard, der Gründer von Scientology Geburtstag und wie ich mittlerweile gelernt habe, ist das für Scientologen quasi so wichtig wie Weihnachten. Und da in dem Interview mit Marc Headley (hatte ich hier erwähnt) die Serie Aftermath so gelobt wurde, habe ich mir anlässlich seines Ehrentags (höhöhö) diese mal zu Gemüte geführt.

In der Doku-Serie für A&E besuchen die beiden Ex-Scientologen Leah Remini (King of Queens) und Mike Rinder mehrere Aussteiger und hören sich ihre Geschichte an. Ein großer Fokus liegt dabei auf die Praxis der Ausgrenzung von Familienmitgliedern, die der Sekte abtrünnig werden, aber auch Missbrauch, Gewalt, Entführung, Geldgier, Überwachung und Folter kommen vor. Die vorgetragenen Geschichten sind teilweise kaum zu glauben. Der ausgestiegene Regisseur Paul Haggis (James Bond 007: Ein Quantum Trost) meint irgendwann dazu nur: „Wenn nur ein Bruchteil davon stimmt, ist es schon unfassbar.“ Er hat Recht. Manches davon erinnert eher an ein Nordkorea in den USA – zensiertes Internet inklusive.

Die beiden Gastgeber wurden dabei immer wieder ein wenig von der Presse und Zuschauern kritisiert. Mike Rinder, ehemals selbst ein hohes Tier bei Scientology, erscheine häufig distanziert und empathielos, während sich Remini als die mit den Tränen kämpfende ausführende Produzentin als Retterin in den Mittelpunkt stellt. Außerdem gebe die Serie für eine Dokumentation keine wirklich neuen Details preis während sie für ein Reality-Format viel zu repetitiv sei. Nun, ich glaube nicht, dass das so stimmt.

Tatsächlich finde ich gerade das die Stärke von „Scientology and the Aftermath“ bzw. „Ein Leben nach Scientology„, wie die Serie auf deutsch heißt. Tatsächlich ist die Show in der ersten Staffel nicht recht viel mehr als ein bis zwei Interviews pro Folge mit kurzen Kommentaren und Gesprächen von Rinder und Remini. Inhaltlich gleichen sie sich tatsächlich und die Produktion macht auch keinen Hehl daraus, dass die Tragik der gebeutelten Einzelschicksale mit Tränen und Emotionen in den Mittelpunkt der eigenen Dramaturgie steht, die sonst keinem wirklichen Script folgt. Aber hier ist gerade die dabei kritisierte „Faulheit“ eine Stärke des Formats.

Während andere Reality-Serien mit flotten Schnitten und Pathetik versuchen die Aufmerksamkeitsspanne hoch zu halten, hat man hier kein Problem damit, die einzelnen Fälle als authentisches, langatmiges und manchmal schwer zu ertragendes Gespräch abzubilden und jedem Aussteiger den gleichen Raum einzugestehen, selbst wenn es wieder exakt die gleiche Geschichte ist. Dadurch nehme ich „Aftermath“ tatsächlich ab, dass hier zwei Aussteiger tatsächlich dringend notwendige Aufklärungsarbeit betreiben wollen.

Die Show integriert nur soviel Reality-Format, wie sie für den amerikanischen Massengeschmack muss, um Mainstream überleben zu können – und bleibt sonst ganz nah an der Aussage dran. Klar, ein wenig wird hier und da dennoch inszeniert, aber es reduziert sich für heutige Verhältnisse wirklich auf ein Minimum: Die Unterhaltung steht nicht im Zentrum sondern die Aussage, dass die gezeigten Fälle eben keine Einzelfälle sind – und mit jeder Wiederholung verstärkt sich das.

Scientology führt seitdem einen Krieg gegen faktisch alle Macher der Serie, sowie allen Personen, die dort ausgesagt haben. Jedes neue Opfer, das in den mittlerweile drei Staffeln sich zu den Kritikern zählt ist sich dabei bewusst, dass es unmittelbar nach Ausstrahlung Anfeindungen der Kirche ausgesetzt sein wird und möglicherweise dabei Teile ihrer Familie verliert. Dadurch erhält jede neue Folge dann doch eine gewisse Brisanz. Auf PR-Seite wurden von Seiten Scientologys parallel mittlerweile hunderte verleumderische Webseiten über jede Person der Serie erstellt und ins Netz gestellt.

Bei der zweiten Staffel haben sie dann in meinen Augen genau das richtige gemacht und die Episoden mit aktuellen Ereignissen verschränkt: Scientologys Antwort auf jede neue Folge kommt so sicher wie das Amen in der Kirche. Während also in der zweiten Staffel die Anschuldigungen der Aussteiger weiter einprasseln (und dabei an Dramatik noch mehr zunehmen), prasseln von Seiten Scientologys weiter die immer gleichen Hasstiraden auf die Show zurück. Man kann den Kampf somit sogar ein wenig in Echtzeit verfolgen. Wenn die Kirche (eher: der Kult) dann z.B. die eigenen Familienmitglieder zu Gegenaussagen gegenüber dem Angehörigen aus der Vorepisode bewegt, wirkt das schon recht erbärmlich (und traurig). Der Sender selbst veröffentlicht zudem Stellungnahmen von Scientology (die sich selbst weigert einen Sprecher in die Sendung einzuladen) auf seinen Webseiten.

Eine besondere Stärke spielt „Aftermath“ aber für mich mit den sogenannten Special-Episoden aus (die formal nicht zum Format gehören, sondern mehr wie eine Diskussionsrunde ohne Aussteiger-Aussagen als kleine „Verschnaufpausen“ angelegt sind – eine Übersicht gibt es bei Wikipedia). Hier kommen Experten, Rechtsanwälte, Journalisten, Autoren oder Medienleute zu Wort, die wirklich viele tiefgreifende Fragen beantworten, die das Format ab Staffel 2 eine ganze Stufe nach oben heben. So wird das Leben von Hubbard nachgezeichnet, das von dem neuen Chef Miscavige, erklärt wie das Medienimperium als Propaganda-Maschinerie funktioniert oder wie selbst die Promis davon abgehalten werden, mit der Kritik an der Kirche in Kontakt zu kommen. Es werden die Preise offen gelegt oder die genutzten juristischen Tricks, es werden auch die Teilnehmer der Vorstaffel eingeladen und die Auswirkung der eigene Serie reflexiv aus Sicht von Medien und Kirche betrachtet. Und dann gibt es da sogar einige ganz kurzfristige Ereignisse, die „Aftermath“ fast schon zu einem Real-Time-Crime-Format macht.

Ich glaube, ein Grund, warum ich dem Format die hohe Authentizität trotz meiner Skepsis gegenüber Reality-TV abnehme, ist der Versuch des Teams, Scientology auch rechtlich zu schlagen. Offen kommuniziertes Ziel von „Aftermath“ ist es, Scientology zu Fall zu bringen – ohne Zweifel wäre das ein riesen Coup für das Team und den Sender. Dass das natürlich ein Köder ist, am Ball zu bleiben, ist klar. Scientology ist seit Jahren juristisch quasi unantastbar – die Chancen gering. Andererseits ist Mike Rinder schon bei einigen Gerichtsverfahren als Berater dabei und wenn es stimmt, was die erste Staffel suggeriert, sind im Hintergrund eigene Anwälte bereits am Vorbereiten einer Strategie. Die erhöhte Medienpräsenz dieser Serie erhält dabei eine Schlüsselstellung, denn bislang war Scientology in den USA kaum als „Sekte“ verschrien – zu sehr sind die Mitglieder mit Politik und Medien verheiratet, als dass sich hier so schnell was bewegt.

Bei einem Verfahren könnten dann die Aussagen der Opfer in der Serie einen hohen Stellenwert erhalten – allein schon aus diesem Grund hätten die Macher einen Anlass, hier bloß nichts auszuschmücken oder gar Falschaussagen zu treffen, die ihrer Glaubwürdigkeit bei einem Gerichtsverfahren schaden könnten. Hoffen wir, dass das wirklich so ist, denn jeder Fehler würde von der Kirche sicherlich umgehend ausgenutzt werden.

Aber ich habe auch keinen Grund, an dem selbst erklärten Ziel der beiden Hosts zu zweifeln, die jahrelang im Rampenlicht der „Kirche“ standen und dabei selbst viel falsch gemacht und nun wieder gerade zu biegen haben. So hat Rinder seine Kinder selbst an Scientology verloren. Als ihnen in Staffel 2 eine spontane Familienvereinigung gelingt, es aus ihm angesichts seiner eigenen Situation heraus bricht und die Kamera dann sehr schnell auf Remini zoomt, meine ich zu bemerken, dass das alles gerade tatsächlich authentisch war, und dass die Absichten des Produktionsteams legitim sind.

Allein deswegen (und weil die bisherigen aussagenden Personen sich auch öffentlich nur positiv über das Projekt geäußert haben) wünsche ich dem Format tatsächlich weiter die besten Quoten und einen Bombenerfolg im Gerichtssaal. Eine gelungene Grätsche zwischen Reality-TV, True-Crime-Format, Bildungsfernsehen und Aktivismus für den Massengeschmack – ich hätte echt nicht gedacht, dass sowas heute noch so viele Zuschauer bindet.

 

2 Gedanken zu “Scientology: The Aftermath”

  1. Gibt es heutzutage im Lehrplan eigentlich noch das Thema „Sekten“? Wir hatten in dem Zusammenhang in der Schule schon 199x einen Film angeschaut, der im Wesentlichen genau den gleichen Inhalt wie die ersten Folgen dieser Serie hatte – und der mir wegen der Berichte über den gezielt ausgeübten massiven psychischen Drucks auf die Mitglieder wirklich im Gedächtnis geblieben ist.

    Beim Lesen des Posts ist mir aber heute zum ersten mal noch etwas anderes aufgefallen: es hat mir wirklich weh getan, ständig den Begriff „Kirche“ lesen zu müssen. Der Begriff ist zutiefst christlich und wird in keiner anderen Religion verwendet. Dass sich Scientology dann ausgerechnet „Kirche“ nennt und zufälligerweise auch noch das Kreuz als Logo verwendet ist gerade vor dem Hintergrund, dass sie wohl wirklich das Gegenteil von christlich sind, einfach nur noch zynisch…

    Danke auf jeden Fall für den ausführlichen Post, er hat mich recht unerwartet zum Nachdenken gebracht 🙂

  2. Ja, man hat gleich von Beginn versucht, sich an bekannte Denkmuster anzudocken und so Legitimität zu erlangen. Dass man die Anerkennung als Kirche dann erhalten hat, indem man gezielt Beamte beim Finanzamt ausspioniert und persönlich bedroht hat, bis diese eingeknickt sind, spricht ebenso Bände.

    An das Thema Sekten im Lehrplan kann ich mich übrigens auch noch erinnern. Ich weiß nicht, ob es den noch gibt. Bei uns war es im Religionsunterricht, wobei ich ja persönlich finde, dass es da aus dem möglichen Vorwurf der „Befangenheit“ eigentlich gar nicht wirklich hin sollte.

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