Disney’s „A World Beyond“ (der Originaltitel ist sinnvoller: „Tomorrowland“) ist nach „Saving Mr. Banks“ der nächste selbstreflexive Film des Medienriesen. Im Gegensatz zur leicht geschönten Mary-Poppins-Biografie sind die Anspielungen in Brad Birds Fantasystreifen jedoch nicht nur subtiler sondern auch popkulturellerer Natur. Für Nicht-Amerikaner kann es mitunter unverständlich sein, was der Film denn nun eigentlich mit dem „Tomorrowland“ zu tun hat – einem der Themenbereiche des Disneylands. Deutschen Besuchern des Parks fällt vielleicht noch die Anspielung in der Architektur des Films auf – da haben die Gebäude tatsächlich die Formen von Themenattraktionen…
… aber an der Oberfläche scheint er ein „stinknormaler“ Disneyfilm rund um das Thema ‚Everything goes‘ und ‚Pessimus wird zur selbsterfüllenden Prophezeihung‘ zu sein. Der deutsche Titel hilft auch nicht gerade, den wichtigen Bezug zum Themenpark-Bereich herzustellen. Kennern der Disneyparks und der kulturhistorischen Bedeutung dahinter eröffnet sich jedoch mit etwas genauem Hinsehen ein anderes Motiv, das bei entsprechendem Vorwissen Spaß machen kann.
Das beginnt schon bei der Einleitungssequenz. Gespielt wird There’s A Great Big Beautiful Tomorrow, komponiert von den Sherman-Brüdern, die wir (von Disney perfekt vorbereitet) ja bereits aus „Saving Mr. Banks“ kennen. Der Song ist Bestandteil einer Themenattraktion namens The Carousel of Progress, die in Amerika fast genauso fest in der Kultur verankert ist wie das im Film ebenfalls kurz angeschnittene „It’s A Small World“. Beide Attraktionen hatte Disney für die Weltausstellung 1964 entwickelt, und beide sollten ein positives Zukunftssignal an die Menschheit aussenden. Beide finden sich als Hommage auch in „A World Beyond“ wieder. Und beide haben eine äußerst eingängige Melodie. Beim Carousel of Progress lautet der Text:
Man has a dream and that’s the start
He follows his dream with mind and heart
And when it becomes a reality
It’s a dream come true for you and me.
So there’s a great big beautiful tomorrow
Shining at the end of everyday.
… was auch schon die Geschichte des Films zur Gänze beschreibt: Die junge Casey träumt davon, zu den Sternen zu fliegen. Eines Tages findet sie einen merkwürdigen Pin, der es ihr ermöglicht, in eine Parallelwelt zu wechseln. Während in ihrer Welt jeder nur pessimistisch in die Zukunft blickt, wird dort mit Begeisterung die neue Technik für eine bessere Welt eingesetzt. Dort kämpft sie für ein besseres Morgen, und als das zum Schluss Realität wird, hilft das natürlich auch allen Menschen – eben genau wie im Song.
Und hier beginnt eine lange Hommage, fast schon ein wehleidiges Zurückblicken zum grenzenlosen Optimismus von Walt Disney. In seiner Serie „Walt Disney Presents: Disneyland“, die in den USA jede in den 50er und 60er großgewordene Generation kennt, präsentierte er seine Themenparks als die Brutstätte für positive Veränderungen. Sein „Tomorrowland“ war immer ein Themenbereich der positiven Zukunft. Sei es Walts Vision, eine „Experimentelle Prototyp-Gemeinschaft der Zukunft“ zu entwickeln (Beispielvideo, leider konnte er diese nicht mehr verwirklichen, heut erinnert noch das EPCOT Center daran) oder das schon angesprochene „Carousel of Progress“, eine von Walts ersten richtigen Audio-Animatronic-Attraktionen:
Seine Ideen hat Regisseur Brad Bird nun auch in sein „Tomorrowland“ einfließen lassen. Neben so offensichtlichen Aspekten wie Architektur- oder Transport-Konzepte (Beispielartikel) versüßem dem Disneykenner aber noch zahlreiche Details die Reise durch den Film. Beispiel?
Neben Caseys Geschichte wird parallel auch die von Frank erzählt. Der träumt vom Fliegen mit einem Jetpack, doch niemand glaubt ihm – bis ihm natürlich auf der Weltausstellung von 1964 einer von Disneys Audio-Animatronics über den Weg läuft, der ihn in die Disney-Welt und –Philosophie einweist. Die „Imagineers“ im Tomorrowland vervollständigen sein Werk und er kann endlich beweisen, dass der Traum vom Fliegen Realität wird. Das ganze ist nicht mal als Hommage zu verstehen, sondern schlicht als direkte Liebeserklärung (oder gar plumpe Kopie?) an Walt Disney: Er selbst hatte dafür gesorgt, dass Jet-Pack-Flieger sein Tomorrowland umkreisten – genauso, wie es Brad Bird nun in seinen Darsteller im Film tun lässt:
Der Film vergisst auch nicht, für eine Sequenz in Paris das Setting zu modifizieren: Im Disneyland Paris existiert kein „Tomorrowland“. Statt dessen hat die Disney Company dort ein „Discoveryland“ zu Ehren von Erfindern wie Jules Verne oder Nikola Tesla errichtet. Und natürlich werden genau diese dann in Paris in die Story mit eingeflochten. Der ursprünglich weiße und helle Stil der Tomorrowlands weicht dem goldenen und warmem Stil des Discoverylands (natürlich mit der obligatorischen Jules-Verne-Rakete) – eine Augenzwinkern an die ursprünglichen Park-Designer Tim Delaney und in gewissem Maße auch dem Steampunk-Design von Eddie Sotto. Und nicht zuletzt kommen sogar die Disneykritiker zu Wort, welche den Rückbau des Disneylands (und gerade zahlreicher Tomorrowland- und Discoveryland-Attraktionen) durch schlechtes Management bemängelten und eine Rückkehr zu Disneys positiven Sicht der Zukunft forderten – was schließlich mit einem großangelegten Re-Imagination-Programm unter John Lasseter auch gelang (Disney-Fans reichen hier so kontroverse Nerd-Schlagworte wie „Flying Saucers“, „Space Mountain: Mission 1“ oder „Bring Dreamfinder back“, oder einfach die Webseite Yesterland.)
So gesehen ist „A World Beyond“ auch eine riesige Werbesendung für die Ansprüche der Firmenphilosophie – kein Zweifel daran. Trotzdem eröffnet sich die eigentliche Güte des Films erst durch die Verbindung von historischem Fakt und fiktiver Story – ein Aspekt, der eigentlich auch ursprünglich geplant war:
Aus unerfindlichen Gründen fehlt jedoch mindestens in der deutschen Version jegliche Anspielung auf Walt Disney sowie der kompletten Zusammenhänge zu seinen EPCOT- und Tomorrowland-Plänen. Der Begriff „Tomorrowland“ wird im Film noch nicht mal eingeführt – aber dann im späteren Verlauf wie selbstverständlich verwendet. Im japanischen Trailer ist dieser Brückenschlag jedenfalls noch zu sehen. So fragt dort Casey „Tomorrowland? So wie das von Disney?“ und erhält als Antwort:
Der Themenpark war nur eine Fassade für das richtige Ding. (…) Was würde passieren, wenn alle Genies sich entschlössen, die Welt wirklich zu verändern? (…) Walt war einer davon!
Doch genau diese Schlüsselstelle im Film wurde entfernt. So bleibt die Geschichte für Nicht-Kenner weiter nebülos, wie ein gewöhnlicher Fantasystreifen eben. Weshalb? Traute man dem Publikum diesen Zusammenhang nicht zu? Hatte man Angst vor einer zu großen Werbesendung? Schade, denn so verspielt „A World Beyond“ genau diesen großen Bonus, den „Saving Mr. Banks“ gekonnt ausgespielt hatte – nämlich im Verlauf zu belegen, dass die Geschichte mehr ist, als nur Fiktion – und selbst, wenn es nur bruchstückhafte Dokumentarstücke wären wie die originalen Audioaufnahmen von P.L. Travers. Es hätte tausende Dokumenten von Walt und den Themenparks gegeben, die perfekt in die Geschichte gepasst hätten. Schade.
Am Ende ist aber trotzdem nicht zu leugnen: Brad Birds Film bleibt eine große Hommage an Disneyland. Es ist eine Rückkehr zu „Walt Disney Presents“, nahezu eine Modernisierung von Klassikern wie „Man in Space“, eine Ode darauf, dass wir die Welt nur verbessern können, wenn wir positiv in die Zukunft sehen. Das ist zwar als fiktive Filmbotschaft mehr als kitschig, aber als historische Huldigung mindestens liebenswert. Denn eins muss man Walt Disney lassen: Was er aus dieser Vision geschaffen hat sucht seinesgleichen. Und genau diesen Bogen aus kitschiger Fiktion und faktischer Schöpfung (nämlich die der Themenparks) macht den Film bei all seiner Banalität zu einer durchaus orginellen Abhandlung.
Sicherlich wird „A World Beyond“ keine neuartige Erfahrung sein – für das deutsche Publikum erst recht nicht. Dafür ist die Exposition mit Weltausstellung 1964 und den Sherman-Brothers-Songs zu wenig in unserer Kultur verankert. Das Publikum wird ihn ähnlich wenig zu schätzen wissen, wie ein „Ralph Reichts“-Zuschauer, der keine Computerspiele kennt. Als Mainstream-Titel wird es „A World Beyond“ wie schon sein Vorgänger im Geiste schwer haben. Und für ein wirkliches Charakterstück à la „Saving Mr. Banks“ fehlt dem Film die schauspielerische und vor allen Dingen dialogtechnische Güte. Hier verlässt sich Bird dann doch zu sehr auf die Action.
Trotzdem: Für den geneigten Disneyhistoriker verbirgt sich hinter dem Werk ein durchaus kreatives Mash-Up, das nur wie ein Puzzle zusammengesetzt werden muss, um es in voller Blüte genießen zu können. Kein Meisterwerk, aber ein zumindest interessantes Experiment, das sein volles Potential leider durch dumme Kürzungsentscheidungen verspielt.