Vor kurzem habe ich endlich meine DVD-Sammlung um die sog. „Supernasen-Filme“ von Thomas Gottschalk und Mike Krüger erweitert. Sicher, die Streifen gelten als letzter Schund, bei IMDB kommen sie kaum über die 5 von 10 hinaus. Ich verbinde damit trotzdem einen Teil meiner Kindheit.
Mein erster Film war „Piratensender Powerplay“ (1982), gleichzeitig auch der erste Kinofilm der Gottschalk-Krüger-Kombo. Als vermutlich 7- oder 8-jähriger habe ich wahrscheinlich vor allen Dingen über die Blödeleien gelacht. Wirklich sicher bin ich mir allerdings, dass mich der Streifen zu den Medien geführt hat. Der Begriff „Piratensender“ war mir damals noch nicht geläufig – aber danach war ich angefixt: Ich begann, Radiosender auf Langwelle zu „tracen“, habe Satellitenschüsseln nach den ungewöhnlichsten Satelliten ausgerichtet, die merkwürdigsten Signale empfangen und träumte vom eigenen Sender. Der Siegeszug des Internets einige Jahre später hat die Hürden, die es damals noch gab, dann natürlich entsprechend obsolet gemacht.
„Piratensender Powerplay“ fängt ziemlich genau diese Zeit des Aufbruchs ein und ist für sich betrachtet ein erstaunlich bissiger Kommentar auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich gegen den drohenden Verlust des Sendemonopols wehrt. Es war de facto ein Protestfilm gegen das Spießbürgertum, das sich gegen umfassende Programmvielfalt stellte – insziniert und geschrieben von Siggi Götz, der vorher mit ebenso politisch unkorrekten „Filmklassikern“ wie „Geh, zieh dein Dirndl aus“ oder „Drei Schwedinnen in Oberbayern“ einen gewissen legendären Status erlangte. Und sicher – die Story ist platt, die Charaktere slappstickartig. Aber der Kommentar bleibt.
Inhaltlich ist die Geschichte schnell erzählt: Zwei junge Burschen, gespielt von Thomas Gottschalk und Mike Krüger, fahren mit einem zum Radiosender umgebauten Chevrolet durch ganz Bayern und versorgen die Bevölkerung mit „ordentlichem“ Radioprogramm. Da es noch keine Lizenzen für Privatrundfunk gibt, sind sie mit dem Wagen immer auf der Flucht vor den Peilsendern der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Inspiriert könnte die Geschichte von Radio Wahnsinn sein, der in der Blütezeit der Piratensender in Deutschland ebenfalls mit ständig wechselnden Standorten und Flucht vor den Behörden ein politisches Programm im Raum Köln etablierte. Was heute angesichts der Wahlfreiheit im Internet und der zunehmenden Quoten-Verrohung der kommerziellen Privatsender unverständlich erscheint, war hier ein ganz gewaltiger Befreiungsakt, inszeniert als Roadmovie.
(Soundtrack-Playlist bei Youtube, im Titellied wird dem Freiheitsrecht des Broadcastings gehuldigt)
Größter Höhepunkt der politischen „Unkorrektness“ bleibt für mich zweifelsohne die Stelle, als Thommi und Mike direkt vom Parkplatz (!) des Sendezentrums (!) des Bayerischen Rundfunks senden – getarnt als Transporter für das klassische Radio-Orchester. Wohlgemerkt: Die drehen das WIRKLICH auf dem Gelände des Bayerischen Rundfunks. Wenn man bedenkt, dass zuvor praktisch alle Mitarbeiter dieses Senders als die größten Hirnidioten, Kriminelle und Spießer hingestellt wurden, verdient allein schon diese Szene Respekt. Piratensender Powerplay als Method-Acting, als pseudodokumentarisches Zeitdokument einer Epoche, in der man noch gezwungen war, das zu hören, was einem das politische Rundfunksystem vorschrieb. Und es ist vielleicht auch einer der ganz wenigen Zeitdokumente, die den BR in seiner Umbruchsphase zum kurzzeitig hoch-experimentellen Sender zeigte und einige der wichtigsten Jungtalente heranzüchtete:
Denn nachdem Gottschalk tatsächlich längere Zeit vom rundfunkpolitisch unabhängigen Luxemburg aus den deutschsprachigen Raum gemeinsam mit Frank Elstner beschallte, sollte er nur ein Jahr nach Filmveröffentlichung zum BR gerufen werden und Leiter von Bayern 3 werden – wo er gemeinsam mit Günther Jauch die B3-Radioshow moderierte. Erst 1986 sollte mit RSH das erste landesweite private Vollprogramm auf Sendung geht – 5 Jahre nachdem die Dreharbeiten an Piratensender Powerplay begannen!
Mike Krüger hatte beim BR die Leitung der sehr gewagten und heute kaum noch vorstellbaren Samstag-Abendshow „Vier Gegen Willi“ übernommen (mein Beitrag dazu), die beim Zurückrudern 1989 trotz hoher Einschaltquoten wieder abgesetzt wurde und RTL mit Hella von Sinnen und Hugo Egon Balder Ersatzklassiker wie „Alles Nichts Oder“ oder „RTL Samstag Nacht“ ermöglichten.
Von der Aufbruchstimmung und der Experimentierfreude ist heute bekanntlich wenig übrig geblieben. Gerade deswegen ist dieser Film, der die Keimzelle des späteren Privatfunks der End-80er und Anfang-90er einfing, immer noch so wichtig und richtig.
(Auf DVD unbedingt die nicht neu-synchronisierte Fassung besorgen, ich hab die aus dieser Box)
Auch für mich Teil meiner Kinderheit, vielen Dank für die Erinnerung und Hintergrundinfos.