Ja, ich gebe zu, ich dachte bisher immer, der Regisseur Lucky McKee sei ne Frau. Meine erste Begegnung mit ihm war der ziemlich lahmarschige Psychoschinken ‚The Woods‘, den ich mir auch nur angesehen habe, weil Bruce Campbell darin (wenig überzeugend) mitspielt. Letztendlich ist und bleibt es aber ein Hanni und Nanni-Gruselfilm. Was für kleine Mädchen halt, nicht für mich. Deswegen hatte ich zunächst um den so heiß diskutierten May einen Bogen gemacht. Zu stark rochen die Filme nach weiblichen (hust) Problemen, nach Themen, die ich als Typ schlicht und ergreifend nicht verstehen kann, nach ‚Sex in the City‘ meets ‚Mädchenhorror‘, gedreht von der amerikanischen Doris Dörrie. Nein, danke! Sorry. Einfach kein Zugang. Erst bei der Folge ‚Sick Girl‘ aus der Masters of Horror-Reihe ist mir aufgefallen, dass Lucky, trotz der durchgehend weiblichen Thematik, erstens doch ein Typ ist und zweitens zwar nicht unbedingt ein guter Regisseur (wie bei The Woods) aber dafür ein ziemlich guter Drehbuchautor. Bereits ‚Sick Girl‘ fand ich recht faszinierend – das Erwachen weiblicher Homosexualität gepaart mit einer kafka’esken Verwandlung – das versteh am Ende sogar ich. Die Folge war gut, die Making Ofs überzeugend, dass ich May doch noch ne Chance geben sollte: Ich wurde nicht enttäuscht. Das Thema ist ähnlich: Lucky McKee kombiniert leichten Splatter mit Beziehung – und das mit einem selten gelungenen Feingefühl. Auch wenn er sich selbst weiterhin als Splatter- oder Horrorfilmregisseur beschreibt, scheut er nicht davor zurück, seine Charaktere mit viel Tiefe zu versehen. Gerade das verleiht May eine ziemlich starke Ausdruckskraft, eine ziemlich eigene Aura, die man dem Horrorgenre sonst nicht zutrauen würde: Splatter mit Gefühl, das ist fast wie ein Porno mit Handlung. Lucky McKee definiert seinen Film als eine Welt aus Freaks. Da gibt es z.B. Adam Stubbs (Jeremy Sisto), der begeisterter italienischer Horror-Fan ist, heimlich von der Splatterfilmkarriere träumt und als Hobby Videofilme zusammenschneidet. Ich gebe zu, ich fühle ich angesprochen. Himmel, der Typ hat sogar das gleiche Dario Argento-Poster im Zimmer hängen und kauft sich trashige Trickmesser. Spooky! Auf der anderen Seite die durch ihre Kindheit traumatisierte und introvertiere May (herausragend: Angela Bettis!), die nach nichts anderem auf der Suche ist, als nach einem Freund, ihre Gefühle aber lediglich ihrer Puppe anvertrauen kann. Als sie sich auf der Straße in Adam verliebt, versucht sie nichts verzweifelter als ihm zu gefallen: Sie besorgt sich Kontaktlinsen, ein neues Outfit, versucht aufzufallen und um jeden Preis normal und perfekt zu wirken. Natürlich geht der Schuß nach hinten los. Erst nachdem sie in ihrer typischen, selbstgenähten Kleidung (also ‚Unperfekt‘) im Waschsaloon verschämt auf Adam trifft, wird dieser auf sie aufmerksam. ‚I’m weird.‘ – ‚I like weird.‘ ist fortan der Satz, der sich durch den ganzen Film zieht. Die Entwicklung von May dreht sich um. Sie orientiert sich an den Splatterfilmen ihres neuen Freundes und versucht ihm nun daran zu gefallen. Schließlich heißt es nur noch: ‚That’s weird.‘ – ‚But you like weird!‘ – ‚Not that weird!‘. Und May versteht immer weniger, was sie nun eigentlich falsch macht. Mehr exemplarisch skizziert Lucky McKee dann verschiedene Aspekte dieser ‚Weirdness‘ – und damit die verzweifelten Versuche von May, an einen Freund zu kommen: Eine Lesbe, ein Punk, ein Schlampe… McKee schafft es dabei erstaunlich gut, Sympathien für May aufzubauen, für eine junge Frau, die unter dermaßen hohen Druck steht, dass sie viele Sachen zu sehr will, zu sehr um sie kämpft, viel zu wenig einfach nur ‚ist‘, als dass ihr Träume am Ende wirklich funktionieren könnten. Die dauerhaften Enttäuschungen, ihre scheinbare Unkompatibilität zu Beziehungen führt sie in eine derartige Isolation, dass sie schließlich beschließt, ihren eigenen Freund zu ’schneidern‘. Bis hierhin lässt sich McKee sehr viel Zeit – umso intensiver werden danach die Bilder empfunden, in der May zur Mörderin avanciert. Dabei ist vor allen Dingen die letzte Szene, in der May nur noch verzweifelt um Liebe bettelt, besonders eindringlich. Grade die allerletzte Einstellung (die hier nicht weiter verraten werden soll) ist interessant, da sie -für ein Drama so völlig untypisch- Hoffnung und Trost suggeriert (von woher auch immer) und May trotz ihrer Mordeskapaden dadurch verziehen wird. Also eben genau nicht dieser Gender-Frust, den ich sonst bei solchen Produktionen schnell als unangenehm und unnötig -ja sogar kontraproduktiv- empfinde. Schön!
Insgesamt also ein wirklich feinfühliges Werk, das weniger durch die Produktion selbst (McKee dreht nur auf minimalem Budget und nur mit Kumpels!) als mehr durch das gelungene McKee-Script und die wirklich herausragende Leistung von Angela Bettis (übrigens Studienkollegen) punktet. Kurz: Kein Meisterwerk, aber eine interessante Nische. 2006 drehte McKee einen Nachfolger mit dem Titel ‚Roman‘, der die Geschlechterrollen umdreht. Diesmal führt Bettis Reige, McKee selbst spielt den Freak. In Deutschland glaub ich noch nicht erschienen, aber ich werd mir wohl bald mal die englische DVD besorgen. Ein dritter Teil (was auch immer da dann passieren wird) ist auch geplant. Die deutsche DVD gibt’s derzeit für rund 5,00 Euro. Allein der sehr gelungene Audiokommentar mit McKee und Bettis ist sie meiner Meinung nach wert – vor allen Dingen, wenn McKee einige verrückte Beziehungsgeschichten aus seinem Privatleben auspackt, die es am Ende in den Film geschafft haben. Also, Kaufempfehlung!