Als wir die Computerkids der 80er waren, war uns der Ausdruck „Nerd“ noch völlig unbekannt. Ich hatte mich dem Computer verschrieben, weil er eine völlig neue Welt versprach, aber gleichzeitig auch etwas war, was von niemandem so richtig erfasst wurde. Den Computer zu verstehen oder zu bedienen war eine Fähigkeit jenseits jeder Konvention oder Regeln – es begriff ja auch niemand, was genau man damit machte. Es war der Nicht-Mainstream in Perfektion. Es war ein Ort, an dem ich mich wohl fühlte – unbeobachtet von der Welt, trotzdem kreativ und wohlwissentlich, dass mein aufgebautes Know-How mich durch mein Leben würde führen können – denn soviel stand für uns alle damals schon fest: Der Siegeszug des Computers war nicht mehr aufzuhalten.
Als dann immer mehr klar wurde, dass „wir“ Nerds nicht nur unsere Welt, sondern auch die Welt aller anderen im stillen Kämmerlein mitgestaltet hatten und Computerspiele, Internet und Datenbanken die Weltherrschaft übernahmen, waren wir plötzlich aus der Garage ins Lampenlicht gerückt worden. Ich für meinen Teil kann sagen, fand das befremdlich.
Sicher – zunächst waren wir alle schon ein wenig stolz darauf, plötzlich doch ein Teil der Gesellschaft, ja sogar der High-Society zu sein. Plötzlich waren wir wer. Doch für die Aufgabe des Lebens als Underdog zahlten wir einen hohen Preis. Plötzlich fing der Mainstream an, über das „Nerdsein“ zu bestimmen. Plötzlich drückten Konventionen stärker und stärker in den Bereich vor, den wir uns damals so gemütlich selbst eingerichtet hatten. Jeder für sich. Regelfrei. Nur der Schaffenskraft mit binären Zahlen verpflichtet. Wir legten damals die Regeln fest. Jetzt plötzlich begannen andere, uns vorzuschreiben, wer wir zu sein hatten.
(bits’n’fun ’97 – und ja, ich hab echt ne Krawatte an!)
Heute ist „Nerd“ sein „in“. Geeks sind sexy – les ich. Sind sie das? Zu meiner Zeit war ich noch der Brillenträger, der sich vor Schulhof-Prügeleien in Acht nehmen musste. Sexy waren wir sicherlich nicht. Wir haben die Sexiness für unsere Leidenschaft zum mechanischen Gehirn bezahlt. Sexy wurden wir erst, als ein Großteil der Bevölkerung bemerkte, dass sie ohne die Technologie der Nerds nicht mehr würde leben können. Ich finde ja, das ist ein wenig heuchlerisch.
Und während die einen ihre Sexualität für diese Technologie opferten, haben die anderen die ihrige fleißig gepflegt – nur um am Ende das „Nerdsein“ für sich zu kapern und einfach um zu ettiketieren. Hätte mir vor 20 Jahren jemand gesagt, dass mal Mädchen (diese fremde Spezies, die bei uns höchstens als bücherversessenes Mauerblümchen vorbeischaute) mit Make-Up versuchen würden, unser Aussehen zu imitieren, weil es „sexy“ sei, hätte ich vermutlich die Schuppen aus meinem fettigen Haar geschüttelt und lauthals gelacht. „Wo wart ihr denn, als ihr uns damals noch verspottet habt?“, denke ich mir da manchmal. Wenn etwas per Konvention attraktiv gemacht wird, fehlt für mich der Sache schon per se die Glaubwürdigkeit – und es zeigt nur einmal mehr, welchen Luftschlössern manche Menschen nachjagen. Glücklich kann man so doch nicht werden, oder?
Ich mag die Massenkompatibilisierung des „Nerdseins“ nicht. Ich habe mich damals sehr bewusst für dieses Leben entschieden, weil ich neue Sachen machen wollte. Sachen, die noch nicht gemacht wurden. Sachen, die nicht jeder machen kann. Sachen, die etwas bewegen oder verbessern. Für die Sache, nicht für mich – und erst recht nicht für meinen Status. Ich habe mich dafür entschieden, weil ich unbeobachtet war – und frei. Weil es keinen Druck von Außen gab, wie ich zu sein hatte. Es war Schaffenskraft ohne Schranken. Es sah ja auch jeder weg.
Und klar – auch ich fand es eine Zeit lang toll, dass plötzlich „unsere“ Sprache auf T-Shirts gedruckt wurde, die Helden meiner Gamer-Kindheit plötzlich als Mega-Merchandise im Supermarkt standen und der Feuilleton großmundig unsere Koriphäen interviewte. Doch mittlerweile gehe ich zur Resignation über. Das „Nerdtum“ ist zu einem Trend geworden, dem heute mindestens genauso viel Menschen hinterherlaufen wie in den 80ern den Yuppies. Die Sprache der Massen-Nerds verstehe ich manchmal schon nicht mal mehr selbst – und das, obwohl ich doch eigentlich einer der ihrigen sein sollte.
Schulen und Universitäten bilden mittlerweile ganze Herscharen an Jugendlichen aus, die ihren Traum vom Nerd-Job verwirklichen wollen. Natürlich in Nerd-Sprache mit Nerd-Profs und am besten noch in nerdigen Gebäuden. Ich habe damals dafür gekämpft, überhaupt in einen medienwissenschaftlichen Studiengang mit Informatik-Schwerpunkt zu rutschen. Und was bin ich froh, dass meine Ausbildung damals noch interdisziplinär war. Ja – ich saß mit BWLern genauso zusammen wie mit Psychologen, Soziologen, Pädagogen, Informatikern, Politikwissenschaftlern, Historikern, Ehtikern, Juristen und Philosophen. Ich habe das Studium gemocht, da es eben nicht darum ging, meine Gedanken in eine konventionelle Nerd-Denke zu pressen – das pure Gegenteil war der Fall. Unmittelbar nach meinem Abschluß sollten Computerspiele aber bereits ein festes Thema im Studiengang sein. Ich fand das irgendwie schade.
Ja, eigentlich sollte ich das gut finden. Und lange Zeit war ich auch ein Befürworter der Professionalisierung unserer Branche, ein Befürworter der Einführung von Konventionen und Regeln bei der Produktion unserer Technologie, eines gestreamlinten Workflows. Ich merke aber, dass ich mich immer mehr weg von dieser Einstellung bewege.
Ich glaube weiterhin nicht an ein Ettiket „Nerd“. Der Nerd in seinem ursprünglichen Sinne war frei. Er war ungebunden von dem, was man von ihm erwartete. Er kämpfte gegen den gesellschaftlichen Druck an, weil er musste. Genau aus dieser hart erkämpften Freiheit entstanden unter all dem Chaos die weltverändernden Sachen, die von den Wanna-Be-Nerds heute so bewundert werden – und die letztlich dazu geführt haben, dass jetzt andere „lernen“ wollen, auch so zu sein. Was folgt ist heute manchmal ein Blick, der mehr in die Vergangenheit gerichtet ist als nach vorne. Ich ertappe mich natürlich auch selber dabei. Dabei hätten wir uns früher keinen Deut um die Vergangenheit geschert. Viel wichtiger war die Begeisterung, sich neues zu überlegen. Es gab kein Zurückschauen und „lernen“ – es gab nur: „machen“.
Die, welche sich heute fette Hornbrillen aufsetzen, Bücher über Computerspielentwicklung reinziehen, als Hobby Meme-Grafiken erstellen und auf Facebook posten und trotzdem über jeden neusten Nerd-Fashion-Trend Bescheid wissen, sind für mich keine Nerds. Sie laufen nur einem schleichend aufgebautem Ideal eines Pseudo-(Sexy)-Nerds nach. Der wahre Nerd dachte immer out-of-the-box. Für uns gab es in den 80ern und 90ern ja auch keine fein vor-definierten Computerspielgenres, Gameplay-Mechanik-Regeln oder gar Ettikete. Wir replizierten nicht, wir kreierten. Wir waren Erfinder, keine Geeks.
Out of the Box (Foto: Clemens)
Wir waren verrückt, krank, bipolar, geistesgestört, vereinsamt, introvertiert, exzentrisch, rebellisch oder authistisch. Nur deswegen waren wir Nerds. Keine Ausbildung war die Grundlage unseres Schaffens. Selbst zu denken, man selbst zu sein (da man damals ohnehin niemanden kannte, der ähnlich war), sich eben irgendwann keine Gedanken mehr darüber zu machen, was andere von einem denken –eine Fähigkeit, die viele von uns bereits in jüngsten Jahren erreichen mussten- diese sozialen Kompetenzen befähigten uns dazu, ganze Genres zu entwickeln, Hacker zu werden, Datennetze zu erdenken und Chiptechnologie zu entwerfen. Und ja – manchmal geht mir diese Freiheit des Denkens ohne Grenzen ab.
Bin ich einfach nur griesgrämig geworden? Vor dem großen Nerd-Mainstream laufe ich ohnehin einfach weiter davon – genauso wie ich damals vom Yuppie-Mainstream in die Computerwelt gelaufen bin. Mir fällt jetzt bereits auf, dass mir die Computerspiel-Entwicklung weniger Spaß macht als die Special-Interest-Produkte, die ich mache. Ich für meinen Teil kann gar nicht anders. In die Computerspiel-Entwicklung bin ich ja quasi nur durch eben diese Vergangenheit reingerutscht. Ich hatte nie bewusst den Beschluß gefasst, Games zu machen – geschweige denn „Nerd“ zu sein. Und mich würde es nicht wundern, wenn ich von dort jetzt einfach weiterrutsche. Denn recht bewusst hatte ich dafür das Thema Haptik und Non-Virtual-Reality während meines Studiums wieder in mein Interessensportfolio geschoben.
Manchmal wünsche ich mir aber trotzdem etwas mehr freigeistiges Denken zurück – denn es wäre schon recht schade, wenn genau diese Freigeister durch die schleichend eingeführten Nerd- und Geek-Konventionen sich in ihrem Bereich zunehmend weniger heimisch fühlen. Sie werden ein neues „wahres“ Nerd-Zuhause finden, soviel steht fest. Aber das, was sie bislang in der IT-Branche vorangetrieben haben, würde von nun an auf der Stelle treten. Ich bin mir nicht sicher, ob wir es jetzt schon soweit kommen lassen sollten. Ich für meinen Teil habe jedenfalls festgestellt, dass ich es gar nicht mehr so schlimm finden würde, nicht mehr Teil der „Nerd“-Community um mich herum zu sein – sondern weiterhin halt einfach „anders“ zu sein.
(Ich verspreche: Die nächsten 7 Blogposts bleiben wieder rantfrei!)
Die Pseudo-Nerds kann man in der Spielebranche ganz leicht vermeiden, denn man erkennt sie alle sofort an ihrer Vorliebe für Unity.
Hör auf zu heulen! Es gibt gute Gründe, warum Nerds sexy sind!
Natürlich wurde die Wahrnehmung von Nerds durch Sendungen wie „The Big Bang Theory“ geprägt und es gibt genug Menschen auf der Welt, die blind hinter jedem Trend herrennen. (Deshalb hoff ich immer noch darauf, daß die guten alten Rubens-Ärsche wieder in Mode kommen, und dann stellt euch mal bitte hinten an, ihr Modelagenturen!)
Und um dann gleich mal frei aus Big Bang Theory zu zitieren: In einer Zeit der Technisierung sind die Computer-Geeks die dominante Spezies… Denn unsere IKEA Wohnungseinrichtung haben wir Mädels im Laufe eines vormittags schnell selber zusamengebaut. Wer ist da unser Ritter in schimmernder Rüstung, den wir mit Rehaugen in unsere Wohnung locken? – Der Geek-Freund, der uns das WLAN einrichtet. 🙂
Jetzt aber die Gründe, die mir wirklich wichtig sind:
Ich komm ja aus einer ganz anderen Ecke des Nerdtums als du. Ich war mehr so die fossiliensammelnde, Bücher und unnützes Wissen hortende Fraktion, aber auch ich bin mindestens einmal die Woche dank Neurodermitis, Kassenbrille und Ammoniten in meinen Hosentaschen über den Schulhof gejagt worden und deswegen spreche ich aus eigener Erfahrung wenn ich sage: Nerds sind die interessanteren Menschen. Ganz ehrlich… Wenn ich heute die „coolen“ Leute von damals treffe wundert es mich oft, daß ich mir keinen Kopfschuss gegeben habe, so langweilig sind die meisten! Ausser über Arbeit, Kinder und vielleicht noch Kollegen gibt es oft nichts zu reden. Keiner der sich über den Kaffee beugt, dir tief in die Augen schaut und sagt: „Kennst du den Lebensweg des kleinen Leberegels? Nein? Dann mach dich mal auf eine Geschichte gefasst…“ (Gut vielleicht ist das jetzt eher mein Thema, aber du weißt was ich meine… Neulich hat mir eine Freundin gestanden, daß sie einen Kerl attraktiv fand, weil er frei aus dem Europäischen Handelsgesetz zitieren konnte… jedem das Seine!)
Heutzutage ist ja jeder ein Individuum („Ich nicht!“) 🙂 und fühlt sich schon als Rebell wenn er ein Tablet von Samsung und kein iPad hat. Nerds haben früh gelernt nicht immer nur mit dem Strom zu schwimmen sondern einfach mal das zu machen, worauf sie Lust haben und seltsamerweise gilt das jetzt plötzlich als „cool“.
Der letzte Grund, warum Nerds sexy sind ist einfach eine innere Haltung:
Nerds haben früh gelernt, wen sie meiden sollten und wer die wahren Freunde sind. Sie machen das, worauf sie Spaß haben und definieren sich durch das was sie lieben.
Diese innere Grundhaltung ist es die Nerds attraktiv macht (zumindest für mich) und diese Haltung kann auch niemand kopieren, der sich eine Hornbrille aufsetzt. Der ist dann einfach nur ein Hipster. 🙂
Ähm, hast du jetzt nicht eh nochmal genau das gleiche geschrieben wie ich (außer die Sache mit dem europäischen Handelsgesetzbuch)? 🙂 Im übrigen hab ich das (not) im Titel ja ganz bewusst in Klammern gesetzt. 😉
Inhaltlich geht’s ja jetzt auch nicht um Sexiness oder Attraktivität, aber ich hab festgestellt, dass sich meine Klickrate unfassbar erhöht, wenn ich „Sex“ im Titel eines Blogposts habe. Thomas Wagner klickt dann gleich mehrfach drauf (liest es dann zwar nicht, aber egal!). Wurscht! Mal wieder Zeit auf Kaffeeklatsch mit Shimanski Edelweiss, Susanne Knorr, Shimanski Edelweiss und Co?
Ja klar! Sagt nur wann und wo.
Du armer geknechteter Büromensch… 🙂
Hm, nächste Woche könnte ich z.B. Freitag ab 20:30 im Filmmuseums-Café, weil ich mir da eh davor Nosferatu anschaue (Mitgänger weiterhin gerne gesehen!). Ansonsten Anfang übernächster Woche? 🙂
Nächste Woche Freitag hab ich noch nix vor… hört sich also gut an. Hmmm… Nosferatu… will ich das sehen? Ich bin doch so ein alter Angsthase.
Ach, fuck it… Ich sag jetzt einfach mal, ich komm mit. Reservierst du?
Kann ich machen! Willst du dich hier als Mitkommer outen – dann vergesse ich es nicht, sobald ich reserviere: https://www.facebook.com/events/540659142707733/?ref=ts&fref=ts
Danke für diesen Artikel,Du sprichst mir aus der Seele.