Das war sie also, die zweite Staffel der heiß erwarteten HBO-Serie Westworld – einem Vergnügungspark der Zukunft, in dem Menschen mit Androiden („Hosts“) wie in einem Computerspiel machen können, was sie wollen. Zurück bleibt bei mir diesmal ein ambivalenter Eindruck.
Staffel 1 war ein grandioser Rundumschlag über alle Themen, die unsere Gesellschaft zukünftig bewegen wird… Von Simulation über künstliche Intelligenz, dem freien Wille bis zur Disruption, Spieltheorie und den tiefen Abgründen des Menschseins war alles dabei und wurde in ein wunderbar abgepacktes Metaebenen-Spektakel verpackt. Ein feine Neuinterpretation des Michael-Crichton-Werkes von 1973. Und der ein oder andere Twist machte die Serie auch intellektuell spannend – das ganze Plot-Universum war clever ausgedacht.
Auch Staffel 2 hat wieder wunderbare Aufnahmen, einen hervorragenden Cast und einen spektakulär guten Soundtrack. Die Production-Value ist enorm und es macht Freude, der Serie zuzuschauen. Auch das übergeordnete Thema macht Sinn. Ging es in Staffel 1 noch darum, was den Menschen zum Menschen macht sowie der Grenzüberschreitung vom untertänigen Host zum rebellierenden, bewusstseinserhaltendem Wesen, steht nun umgekehrt der Mensch im Fokus: „Nicht wir haben Hosts codiert, wir haben Menschen decodiert“. Diesmal wird primär aus der Sicht der Hosts erzählt, wie sie die Menschen sehen. Dabei dreht sich am Ende alles um freie Entscheidungen und Determination.
Und da kommt der Schwachpunkt der diesjährigen Staffel ins Spiel: Seine Determination. Wo „Westworld 1“ noch ein cleveres Ratespiel aus Strategien und Charaktermotivationen war, ist „Westworld 2“ ein Sammelsurium an kuriosen Zufällen. Das mag man im Rahmen des „Game-Designs“ noch als übermenschlich clever angelegten Pfad akzeptieren, spätestens außerhalb dieser Welten wird er irgendwann nervig.
Da wird der Kopf der Programmierabteilung gefangen genommen und in ein Diagnosezentrum entführt, just in dem Moment, wo zufällig auch die Executive Direktorin mit einem Militärteam vor Ort ist. Gerade als das Sicherheitspersonal zum Todesschuss ansetzen will, entdecken die begossen dreinschauenden PMCs, dass da ja eine Geheimtür ist und die ganze Eskalation ist schlagartig vergessen. Oder da kommt auch schon mal die Tochter des Man in Black in der Westworld vorbei und findet ihren Vater in dem riesigen Parkareal völlig zufällig genau zu dem Zeitpunkt, wo er angeschossen wurde. Dass das dramaturgisch mittelprächtig ist, war wohl auch den Dialogschreibern bewusst, also folgt gleich danach ein Gespräch über Zufälle und Vorbestimmung. Geht das wirklich nicht besser? Und dann löscht Bernard seine eigenen Gedanken, nur um sich genau zu dem Zeitpunkt zu erinnern und sie verraten, wo es am wenigsten Sinn macht. Jede Episode enthält solche Zufälle und in der Menge werden sie irgendwann ermüdend: Zu einem anderen Zeitpunkt kommt ein anderes Militärteam genau dann in der Mesa an, als dieses von der mordlüsternden Dolores und ihrem Gefolge angegriffen wird. Damit das der Zuschauer auch begreift rufen das die Militärs auch nochmal laut aus, verlassen unmittelbar den Raum und lassen gleichzeitig ein paar der zentralen Hosts, die ja mittlerweile zur Gefahr geworden sind, einfach im Eingangsbereich allein. Was für ein Glück für den Drehbuchschreiber!
Apropos Drehbuchschreiber und Dolores: Sowohl ihre als auch die Motivation des Narrative Directors stellen so einen weiteren Knackpunkt in der neuen Staffel da. Letzterer bekommt zwar einiges an Entfaltungs-Freiraum eingeräumt, verkommt aber schnell zur Witzfigur. Wirklich zentral ist seine Rolle nicht. Statt dessen liefert er ein paar Details dazu ab, wie das mit dem Geschichtenschreiben denn so funktioniere, wirkt am Ende also mehr wie ein reiner Autorenkommentar auf den teilweise mühsam konstruierten Plot. Dass er dann in der relativ unmotiviert eingestreuten Shogun-World plötzlich Teil des Kampfes sein muss, wirkt fast befremdlich – andererseits steht der komplette Samurai-Part der Serie in keinem wirklich Kontext und dient primär der Zeitstreckung. Immerhin wird für Maeves Motivation, die Menschen im Gegensatz zu Dolores nicht alle zu töten, hier ein wenig Raum eingeräumt.
Ein weiterer Substrang über die neu eingeführte Ghost Nation ist ebenfalls mehr Beiwerk und nicht zentral, auch wenn es rund zwei komplette Episoden füllt. Toll anzusehen, aber eben nicht wirklich in das große Ganze integriert. Gegangen wäre das alles auch anders und dass man gerade den Narrative Director der Parks so banal und unglaubwürdig präsentiert, wird dem übergeordneten Thema der Staffel eigentlich nicht gerecht. Vielleicht wollte man auch einfach nur keine weitere clevere Person neben Creative Director Robert Ford stellen, wie immer traumhaft gespielt von Anthony Hopkins. Am Ende wird selbst den Autoren der Serie scheinbar klar, dass er bestenfalls noch als Kanonenfutter taugt.
Und dann ist da Dolores, die in Staffel 2 die 180° Wendung vollführt und zur Auslöschung der Menschheit ausruft. Manchmal fragt man sich schon, ob neben Dolores nicht auch die Drehbuchautoren ein bisschen größenwahnsinnig wurden. Ihr Charakter entwickelt sich vom Serienliebling zu einer kaum mehr liebenswerten Person. Selbst die befreundeten Hosts können ihrer Mordlust irgendwann nicht mehr folgen. Kollateralschaden in den eigenen Reihen nimmt sie geflissentlich in Kauf. Scheinbar soll sie eine ebenso geniale Rolle einnehmen wie das in Staffel 1 Ford getan hat: Sie hat den Plan, sie weiß was zu tun ist. Wäre sie nur eben nicht so gottverdammt unsympathisch. Überhaupt bleibt ihre Motivation kaum verständlich. Sicher, sie hat Vieles durchgemacht, aber das hatten ihre Kollegen, allem voran Maeve, auch. Wo kommt dieser viele Hass her, der sie zu einer Massenmörderin größten Kalibers macht? Die Serie bleibt uns diese Antwort -zumindest bislang- schuldig.
Der Storypart des Hosts Maeve verliert sich also in Details, der gefühlt 100x erschossene MiB ist immer genau dort, wo er sein muss und Dolores wird zum Unsympath – es fällt damit einfach schwerer, mit den Parallel-Geschichten des Charakter-Sets mitzufühlen. Am Ende ist es mehr Spektakel als Inhalt. Bleiben also noch die „richtigen“ Menschen in der Mesa: die Direktoren, Programmierer, Entwickler und das Sicherheitspersonal.
Dort ist die Kacke seit Staffel 1 ganz offensichtlich am Dampfen. Noch schlimmer: Rettung ist erst mal nicht in Sicht, weil vorher noch ganz dringend Daten von einem Host gesichert werden müssen. Trotzdem schiebt niemand Panik. Im Gegenteil. Da wird teilweise weiter an Hosts gearbeitet, während sich Gäste und Kollegen bereits als Leichen im Park und in den Zentrale sammeln. Die in Staffel 1 noch geniale Metapher mit den „gläsernen“ Räumen, in der jeder jeden sieht und beobachtet, wird jetzt plötzlich fast schon zum Problem. Auch in der brutalen Shogun-World und der quasi nebenbei angemerkten aber ebenso (noch) völlig irrelevanten Welt „Raj“ sind ausnahmslos fast alle Mitarbeiter knallharte Haudegen. Auf die Idee, sich zu verstecken und einfach zu warten, bis die Leitung die Probleme mit der Rettungseinheit löst, kommt scheinbar keiner. Selbst wenn Dolores bereits in der Mesa wütet ist das Wort „Versteck“ ein Fremdwort. Und natürlich: Wenn sich Dolores und Direktorin Hale gegenüberstehen, passiert außer einem bedeutungsschwangeren Dialog dann doch nichts – Dolores darf nicht sterben, also entkommt sie nahezu problemlos. Seufz.
Diese Konstruktion zieht sich durch die zweite Staffel wie ein roter Faden. Narrative Probleme werden mit beiläufigen Erklärungen weggewischt: Ein paar Charaktere müssen schnell die riesigen Parks wechseln? Kein Problem, es gibt Verbindungstunnels – wie auch immer man die hundert Kilometer dabei überwindet. Ein paar wichtige Personen sind im aussichtslosen Kampf? Easy, es werden einfach alle nicht mehr benötigten Darsteller abgeschlachtet und alle anderen finden genau zum richtigen Zeitpunkt einen Aufzug. Das Mitdenken, Mitfiebern und Zusammensetzen von Inhalten wie noch in Staffel 1 gibt es in Staffel 2 bestenfalls noch durch die gleichzeitig präsentierten Zeitebenen – was für treue Zuseher aber auch keine allzu großen „Aha!“-Momente mehr bereit hält. Kurzum: Die Staffel ist einfach deutlich weniger clever. So richtig wundern darf man sich also nicht, dass die Einschaltquoten diesmal geringer ausfielen. Ziemlich sicher hat die Staffel im Verlauf einiges an bislang treuem Publikum verloren.
Ist sie trotzdem gut? Durchaus. Es gibt genug Themen, die zumindest angeschnitten werden und die erneut zum Nachdenken anregen. Sie dreht das komplette Sinnbild um und prophezeit die Ankunft einer neuen „digitalen Spezies“ in unserer Welt. Auch das ganze Thema „digitales Bewusstsein“, dass nur in Bits-und-Bytes leben kann, bekommt ein paar tolle Momente spendiert. Die letzte Episode reißt erwartungsgemäß nochmal Vieles heraus und liefert einige spannende Cliffhanger. Ob der Übertritt von Hosts in „unsere“ reale Welt erzählerisch Sinn macht oder nicht möchte ich noch nicht beurteilen. Immerhin können sich Serienschöpfer Nolan und Joy dort hoffentlich nicht ganz so konstruiert austoben wie in den Parkwelten (von denen wir aber bei weitem noch nicht alles gesehen haben werden).
Also trotzdem: Für mich auch nach der zweiten Staffel eine der einflussreichsten Serien der Gegenwart: Im Zeitgeist, toll produziert, toll gefilmt, fantastisch gespielt. Staffel 2 erreicht vielleicht nicht die Qualität von Staffel 1, es ist aber auch kein Sequel-Problemkind wie Matrix 2 oder Jurrasic Park 2. Die Post-Credit-Szene hat mich bereits wieder voll „gehooked“ und ich kann jetzt schon nicht erwarten, wie es in 2020 weitergehen wird. Wenn die zweite Staffel wirklich nur den Übergang dargestellt haben sollte, wie sie es andeutet, dann soll mir das Füllmaterial und die Konstruktion egal sein. Ich bin gespannt!