Ich hatte hier vor einiger Zeit ein Interview mit Professor Jordan Peterson von der Universität Toronto vorgestellt (Zum Artikel). Eigentlich hatte ich da tatsächlich eine kleine Debatte erwartet, die aber ausblieb.
Jordan Peterson ist nämlich keine unumstrittene Person. Viele seiner Statements werden vom rechten Umfeld genutzt. Das alternativ-rechte Mediennetzwerk Rebel Media hat ihn nach dem Entzug von Drittmitteln mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne unterstützt und immerhin fast $200.000 in die Kassen gespült. Peterson hatte dabei in letzter Zeit vor allen Dingen Anhänger der LGBTQ-Community und Frauenrechtler gegen sich aufgebracht, da er der Meinung ist, Ideologen würden sich mit dem Anschein progressiver Denke schmücken, dabei ohne demokratische Legitimation im Namen von ganzen Gruppen reden und Gesetzesänderungen fordern und unter dem Deckmantel der Political Correctness einen neo-marxistischen Totalitarismus einführen, der jede andere Denke unter Strafe stellt.
Jetzt ist die Frage: Darf so ein Professor Teil der akademischen Ausbildung sein?
„Nein, darf er nicht“, sagten Professoren und die Gleichstellungs- und Gewaltpräventationsbeauftragten (die sog. „Gendered Violence Task Force„) der Wilfrid Laurier University in Ontario. Dort hatte Lindsay Shepherd, eine studentische Hilfskraft, im Rahmen einer Diskussionrunde zum Thema Sprache einen Clip von Jordan Peterson des TV Sender TV Ontario gezeigt. Darin ging es darum, ob die LGBTQ-Community das gesetzliche Recht auf eigene Pronomen hätte oder nicht. Als Reaktion wurde sie zu ihren Vorgesetzten und den entsprechenden Beauftragten gerufen, ermahnt und ab sofort unter Aufsicht gestellt.
Der Vorwurf: Das Vorführen von Jordan Peterson trage zu einem vergiftetem Klima bei, das man nicht fördern dürfe, da es ein Lernklima der Angst hervorrufe. Einen Peterson-Clip unkommentiert zu spielen sei wie eine Rede von Hitler unkommentiert an Studenten weiterzugeben. Die Vorführung eines solchen Videos sei damit als transphobe Handlung und Gewalttat gegen Transsexuelle einzustufen. Die Hilfskraft wehrte sich mit dem Argument, dass dies in Wahrheit Diskriminierung gegen sie sei, da die Universität ihr die Redefreiheit innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses auf Grund von politischen Ansichten untersage und letztlich so innerhalb der Klassen keine eigene Meinungsbildung mehr möglich sei. Kurzum: Es gäbe einen political bias innerhalb der wissenschaftlichen Lehre, der einer Gedanken-Ideologie gleichkomme.
Das ganze erinnert mich ein wenig an den Fall James Damore, der mit ähnlichen Argumenten gerade gegen Google klagt, und den ich auch schon hier erwähnt hatte.
Die Laurier-Universität hat sich mittlerweile bei Shepherd entschuldigt und sieht nach Protesten in der Presse nun doch keine Verstöße mehr. Wenn das so ist, stellt sich aber natürlich die Frage: Hat sie (und damit auch Jordan Peterson) Recht? Wird die Wissenschaft, die erst durch Meinungs- und Redefreiheit Wissen schaffen kann, zunehmend durch Ideologien zersetzt? Werden Studenten durch Repressionen zu einer Scheere im Kopf erzogen, damit sie bestimmte, kontroverse Meinungen nicht mehr äußern und sich damit mittelfristig eine progressive (politisch korrekte) Agenda durchsetzt? Und führt dies letztlich genau dazu, dass wir die eigentlichen, politischen Tendenzen nicht mehr erkennen, weil sie nicht ausgesprochen werden dürfen (Trump, Brexit, AFD, Le Pen usw…)?
Anders gesagt: Wird der (politische) wissenschaftliche Diskurs sukzessive durch Verängstigung und Repression unterdrückt – und zwar genau mit den Argumenten, welche die Diskriminierungsgegner, Gleichstellungskämpfer und Fraunrechtler als ihr Recht vortragen und ist damit das progressive Vorgehen eigentlich nur noch reine Ideologie? Oder gilt es genau anders herum, und die Konservativen, Rechten oder schlicht Andersdenkenden instrumentalisieren sich in einer Opferrolle?
Die Wahrheit dürfte wie immer irgendwo dazwischen liegen.
Die Sache beschäftigt mich jedenfalls schon länger und ich wollte jetzt mal im Lindsay Shepherd-Fall beide Sichtweisen kennen lernen. Man muss dazu sagen: Auf Seiten der Peterson-Gegner findet man da erschreckend wenig. Die einzigen, welche sich konkret zum Fall und ihren Beweggründen äußern, sind die Professoren und Beauftragte der „Gendered Violence Task Force“, die Shepherd ermahnten. Von diesem Gespräch gibt es eine (Teil-)Aufzeichung in der sie ihre Argumente vortragen.
Ein paar Tage später hat auch die andere Seite, nämlich Peterson von der Universität Toronto, seine Ansichten vorgestellt. Er diskutiert dabei mit Dr. David Haskell und Dr. William McNally von der Laurier-Universität über den Vorfall dort. Der Vergleich ist vielleicht nicht ganz fair, weil in diesem Video keine Gegenstimme teilnimmt, andererseits hat es Lindsay Shepherd in dem anderen Ton-Dokument auch relativ schwer, überhaupt ihre Argumente zu präsentieren.
Ich empfehle, sich mal beide Positionen anzuhören. Persönlich finde ich das ungemein spannend. Die Ton-Dokumente gibt es auf Youtube, aber ich baue sie hier mal ganz bewusst nur in Audio-Form ein, um sich ganz auf das Gespräch und nicht auf die Gesichter zu konzentrieren. Mich würde dabei durchaus auch aktuelle Meinungen und/oder Erlebnisse aus dem Wissenschaftsfeld interessieren. Wenn ihr also noch an der Uni tätig seid/studiert und dazu Erfahrungen habt: Nur her damit! 🙂
(Zum Anhören einfach links und rechts auf die Player klicken, wenn ihr über mobile kommt dann funktionieren vermutlich nur die direkten Download-Links auf der linken und rechten Seite).
Argumente der Peterson-Gegner an der Laurier Universität | Verteidigung der Peterson-Befürworter (an der Toronto-Uni) |
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Tondokument herunterladen (m4a) |
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Ethik der Wissenschaft. Jeder, der sich durch Studium, Bachelor, Master und Promotion gequält hat, weiss, wie schwierig es ist, seine „Nische“ zu finden, sein Thema, das als intellektuelles Produkt am akademischen Markt vertrieben werden kann und zur Wissenschaftskarriere führt. —BTW: Eines sollte man bei aller berechtigten Vorsicht mit linkem und rechtem, ideologisch motivierten Fanatismus nicht vergessen. Marxismus ist zunächst einmal eine Wirtschaftstheorie, deren Voraussagen samt und sonders eingetroffen sind- im Gegensatz zu den Voraussagen der bürgerlichen, konkurrierenden Nationalökonomie. Dass Lenin, Trotzki, Stalin und ihre Genossen daraus ein linksfaschistisches totalitäres Modell entwickelt haben, ist genau so eine Missentwicklung wie Nationalsozialismus und Neoliberalismus. Persönliche Bemerkung dazu: Intelligenz braucht Ethik, sonst landet sie im Aufbau vertikaler Hierarchien, und im antisozialen Streben nach Macht und Besitz auf Kosten der Lebensqualität anderer, und beim Lügen und Betrügen. Ich wünsche mir einen Wissenschaftsbetrieb, in dem der Respekt vor der originären intellektuellen Leistung des Denkers zu einer Wissenschaftskarriere führt, und nichts anderes.