Grad eben war ich kurzzeitig an meine Zeit als „grüner Gnom“ erinnert. So nannten die Call-In-Sender die Mitglieder des Forums Call-In-TV, wo ich ebenfalls Mitglied war und die Call-In-Sender kritisch mitbeobachtete (unter anderem mit schönen Unterlassungserklärungen der Show-Betreiber gegen meine Posts). Unvergessen auch die Aktion der unsäglichen Firma CallActive, die es geschafft hat, das Forum mehrfach zum Umziehen zu zwingen (siehe hier).
Das, was wir vom Forum vor 5 Jahren bereits mehr als deutlich gezeigt haben, nämlich dass eindeutig Täuschung im kriminellen Stil getrieben wurde -und das zumal noch völlig ungeniert vor der Weltbevölkerung live im Fernsehen- hat jahrelang einfach niemanden interessiert. Es wurden Millionen mit Betrug gescheffelt, Meldungen an Staatsanwaltschaft oder Landesmedienanstalten blieben ungehört. Die Sender behaupteten gar, alles sei mit ihren Sendungen in Ordnung. Ob Schmiergelder bezogen auf die Sendelizenz geflossen sind, lässt sich nicht sagen, aber manchmal glaubt man, anders lässt sich das kaum erklären. Dann 2011 der plötzliche Rückzug aus dem Geschäft. Pro7-Sat.1 stampfte 9live ein. Wurde der Boden doch zu heiß?
Vor kurzem sind jedenfalls endlich drei Personen verhaftet worden. Lange Zeit haben sie geleugnet, dass das stimmt, was die grünen Gnome sagen. Verschwörungstheoretiker! Nur Spinner! Haltlos!
Jetzt fielen sie um und plauderten das aus, was alle mit eine wenig Verstand längst wussten: Bei den von MRS bzw. CallActive produzierten Sendungen kamen natürlich keine Zuschauer durch. Diejenigen, die durchkamen, waren Fake-Anrufer. Ergo: Mal abgesehen davon, dass die Spiele selbst auch schon auf Täuschung und unklaren Regeln basierten, hatten in diesen Sendung noch nicht mal schlaue Menschen irgendeine Chance, Geld zu gewinnen. Verdient wurde damit angeblich rund 24 Millionen Euro. Davon kann man schon leben, wenn man bedenkt, wie billig die Shows produziert wurden.
In Untersuchungshaft sitzt u.a. auch unser persönlicher Freund Stephan M. (CallActive). Strike.
Eine späte, aber gerechte Genugtuung und ein gutes Gefühl, dass die ganze Arbeit nicht umsonst war, die für die Forenmitglieder im Prinzip mit akribischen Recherchen, tagelangem Call-TV gucken und Spielanalysen bestand (unvergessen bleibt mir die Situation, als im Forum bemerkt wurde, dass die Call-In-Sender ihre abstursen Gewinnspiel-Lösungen manchmal selbst nicht wussten und dann scheinbar bei den „grünen Gnomen“ im Forum nach der Lösung suchten – feststellbar dadurch, dass bei 9live tatsächlich unsere(!) falsche(!!) Lösung durchgesagt wurde, die ungewollt honeypot-artig im Forum verbreitet wurde. Wie peinlich: Der Sender musste sich später dafür entschuldigen). Noch dazu führte die Arbeit zu problematischen Gerichtsverhandlungen für einige der Nutzer, allem voran natürlich Marc. Ich erinnere mich noch, wie plötzlich bestimmte Wörter im Forum verboten werden mussten. Dann waren plötzlich auch Wörter verboten, die man als Substitut verwendet hatte (also ganz generell war es dann verboten, überhaupt über irgendwas zu sprechen). Die Anwälte lasen mit. Es war kein ungefährliches Arbeiten.
Keine Ahnung, wovon ich rede? Hier ist ein älterer, aber immer noch guter Zusammenschnitt von Marc, der übrigens lange Zeit wegen Klagen (ich glaube von MRS) nicht online gestellt werden durfte:
Ich frage mich ja, ob man jetzt auch mal die Sender selbst vor den Kadi zieht – mindestens für eine Befragung zur Mitwisserschaft. Denn die behaupteten ja immer, sie würden die Rechtmäßigkeit bis aufs i-Tüpfelchen prüfen. Hier z.B. MTV:
Wir halten diese Vorwürfe (der „grünen Gnome“, Anm.) für unbegründet und weisen sie aufs Schärfste zurück. Die Sendung ‚Money Express‘ wird in rechtlich nicht zu beanstandender Weise produziert. Grundlage des Produktionsvertrags mit Callactive ist die Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften sowie der Gewinnspielregeln der Landesmedienanstalten. Wir überzeugen uns regelmäßig von der Einhaltung dieser Bedingungen, wobei Callactive die Produktionsbedingungen für uns und die Landesmedienanstalten transparent macht und sowohl durch notarielle Protokollierung als auch durch Prüfung der Produktionsschritte durch unabhängige Wirtschaftsprüfungsunternehmen die Rechtmäßigkeit der Produktionen darlegt.
Richtig wäre es. Das war kein Kleinkriminellen-Deal. Call-In war großes Geschäft unter allen Sender-Familien, die es als Geld-Beschaffungsmaßnahme duldeten. Man kann sich meiner Meinung nach nicht mit ein paar Bauernopfern aus der Verantwortung für sein Programm stehlen. Naja. Wunschdenken. Österreich ist da übrigens schon weiter. Bei denen ist aktuell der Chef vom Klub Vienna dran (Herbert Dvoracek, der kommt auch im Video oben zu Wort) sowie der Telekom-Manager Fischer (hier), da die Telekom-Tochter MRS quasi als Nachfolger von CallActive für solche Sendungen verantwortlich war.
Was mich am Ende am meisten freut: Dass man noch so stark als Spinner dargestellt werden kann – wer mit intelligenten Leuten Crowd-Recherchen betreibt, methodisch und objektiv arbeitet und die Möglichkeiten korrekt in ihrer Wahrscheinlichkeit gegeneinander abwägt und sich nicht von Meinungen oder dem „Das-ist-doch-Verschwörungstheorie“-Argument ablenken lässt, findet am Ende unbeobachtet von dem Rest der Welt die Wahrheit. Marc hat mittlerweile die Akten aus Wien und schreibt dazu:
Vielleicht nur soviel: alles, was hier je behauptet wurde, hat tasächlich stattgefunden.
Wahnsinn! Manchmal braucht es Zeit, bis die Leute begreifen, dass hinter manchen Anschuldigungen handfeste Kriminalität steckt, die real ist. Das war bei dem NSA-Abhörskandal so. Das ist bei dem Call-In-TV-Skandal so. Und ich habe das Gefühl, dass das noch bei einigen weiteren Verschwörungstheorie-Skandalen so sein wird, an denen ich ab und zu noch mitrecherchiere.
Erstaunlich. Vor ein paar Jahren noch hätte ich nicht mehr mit dieser späten Gerechtigkeit gerechnet.
Wie ich darauf komme? Call-In-TV ist ja nicht vollständig verschwunden. Und vor kurzem gab’s ne tolle Aktion gegen Astro-TV. Check it out!
Das hier ist einer der besten Blogs, die ich kenne, und der Eintrag ist einer der besten Blogeinträge ever. Liegt weit über dem Niveau der „Online-Zeitungen“ wie sie auch heissen. Congrats, Basti. Das ist ein Stück klassischer Journalismus auf einem neuen Format.