Als ausgewogenstes Interview zur NSA-Affäre seit langem empfand ich ein Gespräch des SWR mit Erich Schmidt-Eenboom.
Der Publizist ist zugegebenermaßen nicht ganz unumstritten (wie vermutlich alle Publizisten im Geheimdienstumfeld), aber er sagt -wie ich finde- einige wichtige Dinge zur Sachlage, die momentan vollständig ausgeblendet werden.
Allem voran die Tatsache, dass die Spionage nicht im Völkerrecht verankert ist. Für mich ist das eigentlich auch schon die Hauptkrux an der ganze Sache. Das mag vor ein paar Jahrzehnten noch zeitgemäß gewesen sein – aber mittlerweile sind wir zu einem Cyberkrieg übergegangen, wo das Ausspionieren von anderen Ländern der eigentliche Feldzug ist – auf Kosten der Privatsphäre und der Demokratie. Länder können Spionage betreiben, wenn sie primär auf ein anderes Land gerichtet ist. Das Völkerrecht sieht hier keine Verletzung von Ländersouveränität vor.
Wenn wir aber als Staatengemeinschaft nicht bald damit beginnen, die Spionage anderer Länder zu ächten, dann wird dieser „Cyberkrieg“ mittelfristig nur zu einem führen: Zur Spionage-Aufrüstung aller Länder – und damit zu einer ständig wachsenden, Orwell’schen Überwachungskrake. Zu einer Renaissance des Kalten Krieges – wo es am Ende Jeder gegen Jeden heißt und derjenige gewinnt, der die größten Rechenkapazitäten hat und sich als allwissendes Auge am Schluß die Macht unter den Nagel reißt.
Dieses Problem ist leider noch nicht mal ansatzweise in den Köpfen der Bürger angekommen. In den USA ist die NSA doch überhaupt nur deswegen noch im Gespräch, weil sie möglicherweise auch US-Bürger ausgespäht haben. Dass sie Millionen Ausländer, darunter ihre engsten Verbündeten, ebenfalls mit ausgespäht haben, interessiert dort letztendlich niemanden – das wiederum ist ohnehin „vollkommen ok“.
Schmidt-Eenboom spricht außerdem über das enorme Budget, das der NSA zur Verfügung steht (nämlich 100 Milliarden (!) Dollar jährlich) und die Tatsache, dass Wirtschaftsspionage bald zur Hauptaufgabe der Geheimdienste zählen dürfte. Die Terrorabwehr ist schließlich ohne Zweifel ein vorgeschobenes Argument – in Zeiten der Finanzkrise ist das Überleben von Ländern aber immer mehr von wirtschaftlichen Interessen abhängig. Wer hier Industriegeheimnisse seiner Nachbarn in Erfahrung bringt, ist auf der Siegerseite. Natürlich will das absolut noch niemand wahrhaben – aber warum wohl sind industriestarke Nationen wie Deutschland ganz oben bei der NSA auf der Watchlist? Mit der potentiellen Abwehr einiger Terroristen lässt sich das enorme Budget allein zumindest politisch nicht erklären. Recht überraschend sind dann Schmidt-Eebooms Warnungen vor E-Mail-Verschlüsselungen und die Geschichte seiner eigenen Überwachung durch den BND. Ein Hörtipp von mir!
Ein weiteres interessantes Gespräch mit Geheimdienst-Experten gab es vor kurzem auf Democracy Now. Dort spricht Amy Goodman mit Spencer Ackerman und James Bamford. Dort wird auch noch einmal deutlich gemacht, dass die Überwachung der Internetkommunikation durch Geheimdienste praktisch absolut nichts mit der Terrorabwehr zu tun haben kann – sondern dass es letztlich ausschließlich zur Gewinnung von Informationvorteilen gegenüber Industrie und Bürger gehen kann. Ebenfalls sehenswert.
Bild (c) Adam Hart-Davis
Zur Sicherheit kryptographischer Verfahren würde ich dann aber doch lieber einen Experten auf diesem Gebiet statt einen Geheimdienstexperten zurate ziehen. Das klang sehr larifari.
Jepp, da hätte ich auch gerne mehr Hintergründe, worauf er seine These der „Nutzlosigkeit“ von PGP gegenüber „großen“ Geheimdiensten basiert.
Immerhin, wäre dies der Fall, hätte sich Snowden eine Belobigung von seinen ehemaligen Vorgesetzten dafür verdient, ausgerechnet das für sich zu behalten.
Aber wahrscheinlicher ist, dass dies wie üblich nur auf der durch’s Kino verbreiteten Vorstellung beruht, in Geheimdiensten wären wesentlich bessere Forscher tätig als in allen restlichen Forschungsinstituten der Welt.
Ich vermute schon eher, dass sich die Aussage einfach auf enorme Rechenleistungen bezieht.
Was aber nicht helfen würde.
Es sei denn natürlich, sie arbeiten schon mit Quantencomputern.
Snowden hat sich damals beim Guardian übrigens durchaus zu PGP geäußert: „Encryption works. Properly implemented strong crypto systems are one of the few things that you can rely on. Unfortunately, endpoint security is so terrifically weak that NSA can frequently find ways around it.“
Ah. Na da widerspricht er dem Kollegen ja sogar direkt. Entweder labert also Schmidt-Eenboom nur unwissend daher, oder Snowden ist ein Doppelagent.
Da sehe ich die Wahrscheinlichkeit eher bei Eenboom – der hatte ja wohl auch schon mal Deals mit dem BND ausgehandelt. Vielleicht ist das Runterspielen von Kryptografie da nur ein Gentlemen-Agreement. Oder er ist in der Aussage einfach zu wenig differenziert und bezieht sich garnicht auf die Verschlüsselung an sich sondern auf die Schwäche der Endstellen. Dann würde er Snowden nicht widersprechen. Natürlich rechtfertigt das die merkwürdige „Warnung vor Kryptografie“-Einstellung nicht.
Ich tippe nach wie vor auf völlige Ahnungslosigkeit bezüglich des Themas – denn danach klang es einfach sehr stark.